Die Reise mit Herrn Ali und dem Schnellen Pferd.

Fünf Tage und zweitausendsiebenhundert Kilometer Gewaltmarsch liegen just hinter mir, gestern abend bin ich wieder in Parand aufgeschlagen. Die Zeit war viel zu kurz für diesen kleinen Teil des viel zu großen und interessanten Landes. Aus einem anfänglich einfachen Ausflug zum geschichtsträchtigsten - oder zumindest meist erwähnten - Ort, dem unbestrittenen Muß, Persepolis, ist eine Rundreise von Parand über die alten Herrschaftssitze Pasargadae und Persepolis, das wohlklingende Shiraz, das stirnrunzeln-verursachende Bushehr am Persischen Golf, das fruchtbare Khusestan mit seiner jahrtausendealten Geschichte und die Berge des Zagrosgebirges geworden. Und viel zu oft wollte ich anhalten und den zwölfhundert Fotos noch ein paar hinzufügen.
Der Übersichtlichkeit halber sind meine Erlebnisse leicht verdaulich in vier Teile portioniert, ich beginne einfach von vorn, das scheint für mich einigen Sinn zu machen.

Teil 1: Pasardagae und Naqsh-e-Rostam - Ruinen und Felsgrabmäler.

Abfahrt am Montagmorgen, kurzentschlossen und offen für Überraschungen - nur positive versteht sich. Und tatsächlich strahlt die Sonne nach Kräften, in der letzten Nacht hatte es noch so ausgesehen, als wenn die Hölle über Parand losbrechen wollte. …
Am Wegesrand stoßen wir auf eine Karawanserei, die gerade als Restaurant hergerichtet wird. Natürlich muß ich anhalten. Wir stöbern noch etwas in dem modrigen Dorf und unversehens spaziert Herr Ali in den kleinen Friseurladen um sich die Murmel abdrehen zu lassen. Da liegen noch mindestens sechshundert Kilometer bis zum ersten Etappenziel vor uns. Klasse. Iranische Spontaneität. Dann übernehme ich das Steuer, denn Herr Ali gähnt alle fünf Minuten und ich weiß nicht was das zu bedeuten hat.
Wir lassen Esfahan links oder rechts liegen und schroten die Autobahn entlang was das Schnelle Pferd hergibt - doch nicht mehr als hundertzwanzig, die Polizei hat Radarpistolen!
Die Sonne steht schon tief, als wir Pasargadae erreichen. Der Freizeitstreß beginnt. Gutes Fotolicht ist wichtig. Ich hetze von einer der zweitausendfünfhundert Jahre alten Palastruinen zur nächsten um das letzte Sonnenlicht einzufangen.
Aber hier können wir nicht bleiben. Wir kaufen Brot, Obst und Gemüse und fahren weiter nach Süden. Das Naqsh-e-Rostam hat schon geschlossen, aber wir schlagen direkt auf dem Parkplatz unser Zelt auf - Herr Ali hat alles eingepackt. Wir nehmen ein frugales Abendessen zu uns und steigen früh ins Nest.

Am nächsten Morgen sind wir die ersten Besucher der Felsgrabmäler früher Herrscher, die mit Szenen von Krönungen und Schlachten verziert sind. Der Turm könnte ebenfalls eine Grabstätte gewesen sein, aber wer kann das nach sovielen Jahrhunderten des Vergessens noch so genau sagen? Wir nicht.
Wir fahren weiter und sind ein paar Kilometer weiter plötzlich vor den Toren von Persepolis - ungewaschen im Hemd von letzter Nacht. Ts.

Teil 2: Persepolis - Schutthaufen mit Geschichte.

Ziemlich unvorbereitet stehe ich vor dem Steinplateau, auf dem Parsa, griechisch Persepolis, oder besser deren Reste aufgebahrt sind. Die Sonne brennt. …

Schulterzuckend mache ich mich daran, die große Steintreppe hinaufzusteigen, ich durchquere das Tor aller Nationen und schleiche mich in eine zufällig vorbeiflanierende kleine deutsche Führung ein. Die hundertfünfundzwanzigtausend Quadratmeter große Stadt, wo hauptsächlich zum zarathustrischen Neujahr die Vertreter aller Nationen des Reiches zusammenkamen um ihren Tribut abzuliefern, wurde durch die Truppen Alexanders des Großen um dreihundertdreißig vor unserer Zeit vernichtet. Zweihundert Jahre lang war sie an Imposanz wahrscheinlich kaum zu überbieten gewesen, auf fotografischen Rekonstruktionen kann man etwa erahnen, von welcher Pracht der Herrschaftssitz gewesen sein mag. Die Farbenfreude ist nun der natürlichen Farbe der Steine gewichen.
Unglaublich, daß diese riesigen Säulenkapitelle, die wie Pferde aussehen, aber an den Hufen als Stiere erkennbar sind, auf den verdammt hohen Säulen gesessen und das Dach gehalten haben sollen. Die Bleiverbände, die wohl erdbebensicher waren, hielten der Feuersglut nicht stand und konnten die schweren Holzdächer der mächtigen Gebäude nicht mehr halten. Die Hitze soll aber wenigstens tausende Tontafeln für die neuzeitlichen Archäologen haltbar gemacht haben. Hatte das Feuer wohl doch was Gutes.
Ich streife einige Stunden im Bauschutt umher, ersteige die zwei Felsgrabmäler, von denen aus man einen guten überblick über die Ruinenstadt hat, während meine unbedeckten Hautpartien eine kräftige Signalfarbe annehmen.
Es ist höchste Zeit für etwas Körperhygiene, aber vorher noch zum Naqsh-e-Rajab, einer weiteren Stätte mit in Stein gemeißelten altertümlichen Comics, die wir übersehen hatten. Dann endlich gehen wir ins Hamam, also eine öffentliche Badeanstalt in Marvdasht, der nächsten Stadt. Duschen! Und danach kaufen wir ein, Obst, Gemüse und das Kamelfleisch für unser Kebab am Abend. Herr Ali wird es später einlegen, daß das ganze Auto nach Knoblauch riecht - herrlich.

Teil 3: Shiraz - Eine Stadt.

Weit ist es nicht mehr in die Stadt, die der Welt den Wein geschenkt und ihn sich selbst wieder weggenommen hat. Wir halten vor dem Stadttor und während Herr Ali sich der Marinade annimmt, erklimme ich den Berg für eine Aussicht auf Shiraz. …

Wir setzen uns auf die Wiese und nehmen noch einen Tee, bevor wir in die Stadt fahren. Ich muß eine Speicherkarte kaufen, sonst bleibt der Rest des Reise undokumentiert. In der Elektronikmeile frage ich die jungen Verkäufer aus, wo man in der Stadt gut kampieren kann und sie tun sich schwer, uns einen geeigneten Park zu empfehlen. Warum soll man in einer Stadt zelten, die so viele Hotels hat!? Dann irren wir mit dem Auto umher, um erstmal eine gute Stelle zum Grillen zu finden. Herr Ali kennt sich hier auch nicht aus und will immer mir die Entscheidung zuschieben, ich bin genervt. Der arme Kerl will doch nur mein Bestes. Oder einfach nur er selbst sein?
Abseits jedweden Parks, an einem staubigen Weg zwischen hochummauerten Obstgärten und einem Berghang wird es dunkel und ich habe genug vom Suchen. Wir werfen den kleinen Grill an und ich spieße das Tier auf. Es wird ein leckeres Essen.
Aber einen Platz zum Zelten in der Stadt will ich jetzt wirklich nicht mehr suchen, ich leite Herrn Ali zum erstbesten billigen Hotel aus der Reisebibel und bin mit dem einfachen Zimmer zufrieden. In Ermangelung jeden Nachtlebens gehen wir wieder früh schlafen.
Die Stadt weckt mich. Ich schaue zum Himmel und bin nicht begeistert - kein Fotowetter mehr. Der erste Weg ist zum Basar des Regenten, wie sich Karim Khan, erster Herrscher der Zand-Dynastie und Herr über Persien bescheiden nennen ließ. Er gab Shiraz um siebzehnhundertfünfzig seinen verlorenen Glanz zurück und machte es zur Hauptstadt des Reiches.
Glücklicherweise finden wir den kleinen Imbiß über dem südlichen Ausgang des Basars, wo wir uns ein herzhaftes Frühstück einverleiben und dabei dem geschäftigen Treiben zusehen können.
Wieder hinein ins Getümmel. Direkt am Basar klebt die Regentenmoschee, dessen Innenhof gerade renoviert wird. Die französischen Damen haben sehr mit dem großen Schleier zu kämpfen, der weiblichen Besuchern am Eingang aufgenötigt wird. Im Hof einer ebenso an den Basar grenzenden ehemaligen Karawanserei gedeihen Orangenbäume und unnütze Souvenirs glitzern neben den Teppichen im Vormittagslicht. Eine theologische Schule gibt es hier auch gleich, sie hat einen einladenden Garten voll tragender Orangen- und Maulbeerbäume, in den Nischen sitzen die Lehrer mit ihren Schülern und diskutieren.
Wir kommen zum Orangengarten, dem ehemaligen Sitz des Provinzgouverneurs mit feinen Spiegelmosaiken und lärmenden Schüler- und Studentenhorden. Dann streifen wir noch einige Moscheen und das Mausoleum des Schah Cheragh. Wie in vielen Mausoleen darf man das Innere mit dem großen Leuchter, der grün glitzernden Spiegelkuppel und dem Schrein nicht fotografieren.
Des Laufens müde steigen wir in ein Taxi - meine erste Fahrt in einem Paykan! - um zurück zum Auto zu gelangen. Einige notwendige Besichtigungen stehen noch aus, auch wenn ich der Stadt schon müde bin - keinesfalls kann sie mit dem Charme von Esfahan konkurrieren und hat mich garnicht verzaubert - ist es nur die Erschöpfung? Das Wetter? Die Mausoleen zweier wichtiger Söhne des Stadt und Poeten Hafez und Saadi müssen noch rein, dann habe ich endgültig die Schnauze voll von Shiraz und wir steuern weiter westwärts.

Teil 4: Bishapur, Bushehr und Shushtar - Alles voller Ruinen.

Mit Shiraz sind wir also durch und wenden uns westlich gen Bushehr. Auf dem Weg dahin liegt Bishapur, Reste einer befestigten Stadt aus der Zeit der Sassaniden. Der Regen, der uns hinter Shiraz empfangen hat, klingt endlich ab. …
Vergeblich versuche ich aus dem gesprächigen jungen Wachsoldaten und dem Wärter mit meiner Handvoll Farsi den Standort der Shapur-Statue herauszukitzeln - sie wissen nicht wovon ich rede und zeigen mir lediglich zwei Säulen. Es wird schon dämmerig und wir müssen uns einen Schlafplatz suchen.
Wir werden an die Imamzadeh, das im Bau befindliche Mausoleum im Nachbarort verwiesen, das ein riesengroßes betoniertes Picknick-Areal hat. Hier, neben einem lustig plätschernden Bach, der aus einem großen Reservoir gespeist wird und an dem fleißig die Frösche quaken, bereiten wir unseren Grill vor um das unerschöpfliche Kamelkebab zu rösten. Bis auf eine kleine verdorbene Ecke schmeckt es wieder super, aber der Rest fliegt in den Müll. Vollgefressen fallen wir früh in den Schlaf.
Es kostet mich am Morgen einige Überwindung in das kalte Wasser des Reservoir-Beckens zu steigen, aber Herr Ali winkt schon vorher ab. Das hat mich fit gemacht für den ersten Tagesordnungspunkt: die Tang-e Chogan, die Höhle des Shapur. Ich bilde mir ein, den jungen Burschen aus dem Dorf, der mich in seinen Badelatschen den Berg hinaufführt, auch etwas schnaufen zu hören. Und oben steht dann endlich die Statue, mit neuen Beinen aus Beton sieben Meter hoch bewacht sie den Höhleneingang. Die Aussicht ist mäßig, wabernde weiße Wolken verhängen den Himmel. Das Wetter schlägt mich nieder.
Vom Dorf aus kann man den Fluß sehen, nach dieser schweißtreibenden Wanderung tauche ich ins klare, kühle Naß, zum Glück sind die Jungs stromaufwärts fertig mit der Motorradwäsche. Herr Ali eiert rum, traut sich aber endlich auch hinein.
Und jetzt noch die Felsenreliefs von Bishapur. Dann aber heißt das Ziel Bushehr, auf dem Weg bietet sich wieder ein schönes Fotomotiv, eine uralte Steinbrücke, die dank einer iranischen Reparatur mit Stahlplatten immernoch befahren wird.
Endlos zieht sich die schnurgerade Straße an den Persischen Golf nach Bushehr, dessen Name im Allgemeinen wohl nur mit dem nahegelegenen Atomkraftwerk verbunden wird. Davon zeugen aber nur Straßenschilder. Endlich in der verschlafenen Altstadt angekommen, steigen wir in das angenehm kühle Ghavam-Restaurant hinab, das in einer ehemaligen Zisterne untergebracht ist und essen vorzügliches Fisch-Kebab.
Während Herr Ali danach in eine Moschee geht, schleiche ich in den lehmbraunen Gassen mit der offenen Kanalisation umher, deren Häuser eins nach dem anderen langsam in sich zusammenfallen. Anheimelnde Atmosphäre? Da hat die Reisebibel mich mal auf die falsche Fährte gelockt. Ich denke an die Altstadt Muharraqs zurück. Am kurzen Strand der Stadt treffe ich wieder mit Herrn Ali zusammen, hier tollt die männliche Jugend im Wasser, Millionen von Kolibakterien zum Trotz.
Es liegen noch einige Attraktionen und über tausend Kilometer bis Parand vor uns, also können wir hier nicht verweilen. Wir reißen noch eine erkleckliche Strecke ab und errichten unser Zelt in einer gesichtslosen Stadt namens Ahwaz, in einem Park am Fluß neben einer gut befahrenen Brücke. Es wird die am wenigsten erholsame Nacht des ganzen Ausflugs.
Die Sonne will auch nicht raus, nur ein kleiner heißer Punkt bohrt sich am Morgen durch den graugleißenden Himmel, als wir uns zum Hamam durchfragen. Duschen! Es folgt ein herzhaftes Frühstück von Schafsfüßchen mit Brot - ich halte mich an die harmlosere Variante handgezupften Fleisches diverser anderer Körperregionen.
Choga Zanbil muß man wohl gesehen haben, wenn man in der Gegend ist, wie auch vieles andere. Die Zikkurat, ein Backsteintempel, ragt als einziges aus den Lehmhügeln heraus, die einmal eine Stadt gewesen sein sollen. Ich hab garkeine Lust mehr zum Fotografieren, so kotzt mich dieser bleierne Himmel an - die Fotos kann man doch wegschmeißen! Naja, ich laß mich von einem verrückten Kerl, der mich an den Glöckner erinnert (Eßmeraldaaaah!) durch das Areal hetzen während er babylonisches Sprachragout vor mir auskotzt. Als ich ihm einen grünen Schein in die Hand drücke, läßt er mich endlich allein. Der erste Bus mit Touristen nähert sich. Die Faszination des Ortes bleibt mir unerschlossen, Herrn Ali sowieso. Er hat inzwischen den Busfahrer vollgequatscht. Abgehakt.
Etwas östlich liegt Shushtar, Winterhauptstadt des Imperiums in der Sassanidenzeit. An der Shadervan-Brücke, einem Relikt dieser Zeit, dünstet ein bekannt grau-grüner Zufluß zum Karun unangenehm aus. Die Stadt ist durchdrungen von ihrer jahrtausendealten Geschichte. Vierzig Mausoleen soll sie haben, mir reicht das von Herrn Abdallah, viel mehr Zeit bleibt nicht, nachdem wir ein Softeis mit Möhrensaft verputzt, unten am breiten Staudamm vorbeigeschaut haben, wo die Jugend übermütig in den Fluß springt und ich mir genau die von römischen Kriegsgefangenen erbauten Wassermühlen erklären lassen habe. Ich leide am Überangebot an Geschichte und dem miserablen Fotowetter. Und Herr Ali bleibt bei seinem Gähnrhythmus.

Immernoch liegen hunderte Kilometer vor uns, aber beim Anblick des Mausoleums in Dezful, das direkt an der Klippe über dem aquamarinblauen Fluß steht, muß ich nochmal knipsen. Aber dann schnurstracks weiter, die Überquerung des Zagrosgebirges steht uns noch bevor, endlose Lastwagenkolonnen quälen sich im Zeitlupentempo die Serpentinen hinauf und wieder hinunter. Herr Ali hat sich inzwischen ein ziemlich demonstratives Gähnen angewöhnt, also lerne auch ich, die durchgezogene Linie zu ignorieren wie alle anderen, sonst wäre ich heute noch nicht zurück. Nachts um eins schlagen wir in Parand auf.
Am folgenden Tag, noch etwas zerknautscht, bekomme ich die Taxirechnung präsentiert und beschließe, den Rest meiner Tage das Gesicht zur Faust geballt zu tragen - Herr Ali denkt sich nichts Schlimmes, aber ich komme mir vor wie frisch gemolken. Hätte ich geahnt, daß er für die Fahrt so einen horrenden Satz berechnet, hätte er noch so provokativ gähnen können! Wir mögen über sie lachen, aber sie triumphieren trotzdem. Ich bin auch zu herzensgut zu de Leut! Niemals wird ihr Gehalt mit ihren neuzeitlichen Ansprüchen mithalten können, also was soll's. Ich versuche wieder den Menschen in Herrn Ali zu sehen und plane mit ihm einen allerletzten Ausflug.

[] Unterwegs / Freitach, 18. Mai 2007